Tattoo: Das Farben-Verbot der EU und die Folgen | MDR.DE

2022-10-09 18:16:33 By : Mr. Bruce Zhao

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von Marc Zimmer und Anton Zirk, MDR exactly

Rund 16 Millionen Menschen in Deutschland sind tätowiert. Welche Folgen die Körperkunst für die Gesundheit hat, ist umstritten. Dennoch will die EU auf Nummer sicher gehen und hat Anfang des Jahres viele der gängigen Tattoofarben verboten. Nun zeigen sich die Folgen für die Branche.

Die EU hat mit der REACH Verordnung viele Farben für Tattoos verboten. Das trifft die Tätowierer hart, verunsichert wegen des möglichen Risikos aber auch die Konsumenten. Wie gefährlich sind Tattoos wirklich?

"Es ist, als würde man einem Zimmermann den Hammer wegnehmen", sagt Tätowierer Sebastian Heering. Er betreibt ein Studio in Jena und hat – wie alle anderen Tätowierer in Deutschland – ein großes Problem: Es gibt kaum noch Farben, die unter die Haut gestochen werden dürfen. Die EU hat mit Wirkung zum 4. Januar 2022 viele Inhaltsstoffe der Farben verboten, weil diese potenziell gesundheitsschädlich sein sollen. Und: Es gibt bislang kaum Ersatz. Die Tätowierer und Tätowiererinnen sind durch die Corona-Krise ohnehin schon hart getroffen. Bringt das Verbot also eine ganze Branche in Existenznot?

"Es ist halt so, dass die Farben tatsächlich für uns jetzt gerade einfach nicht vorhanden sind", sagt Sebastian Heering. Wenn es mal etwas gebe, sei es "wie in der Ostzone": alles sei binnen zwei Minuten ausverkauft, "weil jetzt jeder darauf angewiesen ist, aus diesem minimalen Angebot seinen Lebensunterhalt zu verdienen." Die neuen Farben seien auch oft dreimal so teuer. Bis auf wenige Ausnahmen haben alle Tatöwierenden, mit denen MDR exactly für diese Recherche gesprochen hat, Probleme an Farben ranzukommen und verdienen deshalb deutlich weniger Geld.

"Die neuen Farben sind aber auch aus künstlerischer Sicht eine Herausforderung", sagt Sebastian Heering. Man habe zum Beispiel keine Erfahrungswerte, wie schnell sie verblassen – vor allem bei bunten Tattoos sei das eine wichtige Frage. Er selbst sticht vor allem Schwarz-Weiß-Tattoos. Da gibt es schon einige Farben, die mit der neuen REACH-Verordnung konform sind. Daher trifft es ihn weniger, dafür aber die anderen Künstlerinnen und Künstler in seinem Studio, die hauptsächlich farbig arbeiten. Heering fühlt sich durch den Vorstoß der EU im Stich gelassen.

Rund 7.000 Tattoo-Studios in Deutschland und viele freie Tätowierende sind von der Verordnung betroffen. Was Sebastian Heering auch stört: Beim Rauchen etwa sei unstrittig, wie schädlich es ist. Und man gefährde dabei nicht nur sich selbst, sondern auch andere. Trotzdem dürfe sich jeder Zigaretten kaufen. Da frage er sich, warum die Politik dann nicht auch beim Thema Tattoos auf Eigenverantwortung setze.

Das Verbot von Tattoofarben geht auf die sogenannte REACH-Verordnung der EU zurück. Diese reguliert Chemikalien, die potentiell gesundheitsschädigend sind. Seit Anfang dieses Jahres sind viele Konservierungsstoffe, Weichmacher und andere Inhaltsstoffe von Tattoofarben verboten. 2023 tritt die zweite Stufe in Kraft. Dann werden noch zwei der wichtigsten Farbpigmente verboten: Blau und Grün. Pigmente sind das, was die Farbe erst bunt macht. Ob die Hersteller sie ersetzen können, ist noch völlig unklar. Alle verbotenen Inhaltsstoffe könnten Allergien auslösen oder sogar Krebs erregen, sagt die EU.

Der Bundesverband Tattoo bezweifelt das: "Nicht wenige der für uns ungünstigen Verbote und Grenzwertbestimmungen beruhen mehr auf Vermutungen als auf Wissen." Der Verband hat auch eine Petition gegen das Verbot gestartet, rund 180.000 Menschen haben "Save the Pigments" unterschrieben – bislang ohne Erfolg.

Die neue REACH-Verordnung der EU schränkt bestimmte Pigmente ein und verbietet damit fast alle Tattoofarben. Warum gibt es das Verbot? Welche Farben sind betroffen? Diese und weitere wichtige Fragen klärt BRISANT hier.

Der Berufsverband deutscher Dermatologen sagt dagegen: "Kein Tätowiermittel kann als eindeutig sicher eingestuft werden. […] Tätowierungen sind daher fahrlässig." Die Dermatologin Marion Runnebaum, mit der die Reporter von MDR exactly, Marc Zimmer und Anton Zirk, gesprochen haben, sagt dagegen: "Im Grunde genommen gibt es erstmal relativ wenig Beschwerden. Das muss man einfach sagen. Wie viele allergische Reaktionen oder toxische Reaktionen sieht man? Unter ein Promille sicherlich." Die meisten Komplikationen hätten zudem weniger mit den Farben als mit der Hygiene beim Stechen zu tun. Für die Branche hätte sie sich deshalb zumindest längere Übergangsfristen gewünscht.

Trotzdem ist Runnebaum dafür, dass die Tattoobranche insgesamt stärker reguliert wird. Denn wenn man es vergleiche: Der Friseur muss, um sich selbstständig machen zu dürfen, eine Meisterschule ablegen. "Da geht es um, verzeihen Sie, tote Haare", sagt Dermatologin Marion Runnebaum.

Beim Pigmentieren geht es um etwas Dauerhaftes und deswegen fände ich es schon wichtig, dass da eine Ausbildung stattfindet, weil wirklich die Haut bleibend verändert wird.

Marion Runnebaum fragt auch, warum die Farben, die unter die Haut kommen, nicht genauso reguliert werden sollten, wie etwa Cremes.

Doch wenn es nun reguliert wird – und es keinen echten Ersatz für die Farben gibt – besteht nicht die Gefahr eines Schwarzmarktes? Zumindest müsste das Verbot nun durchgesetzt werden. Doch wer ist dafür eigentlich zuständig? MDR exactly hat bei den Bundesländern und den Ministerien gefragt. Oft wurde an andere verwiesen: In Sachsen-Anhalt etwa sind die Reporter vom Gesundheitsministerium ans Wissenschaftsministerium zum Wirtschafts- und dann an das Landwirtschaftsministerium weitergereicht worden.

Am Ende wird klar: Es sind die Städte und Landkreise und dort die Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsämter, die für die Kontrolle von Tattoofarben zuständig sind. Es sollen also die Mitarbeiter erledigen, die sonst Restaurants oder Mastbetriebe überprüfen. Tattoofarben spielen in deren Ausbildung aber kaum eine Rolle, teilt die Stadt Erfurt mit: "Der erforderliche chemische Sachverstand ist daher nur bedingt als gegeben anzusehen."

Anfang des Jahres hat die EU viele Inhaltsstoffe von Tattoofarben verboten. Wie wirkt sich das auf die Branche aus – und wie gefährlich sind Tattoos wirklich? Die Reportage von Marc Zimmer und Anton Zirk.

MDR AKTUELL Mo 21.02.2022 19:05Uhr 22:43 min

Anfang des Jahres hat die EU viele Inhaltsstoffe von Tattoofarben verboten. Wie wirkt sich das auf die Branche aus – und wie gefährlich sind Tattoos wirklich? Die Reportage von Marc Zimmer und Anton Zirk.

MDR AKTUELL Mo 21.02.2022 19:05Uhr 22:43 min

Viele Kommunen wissen nicht einmal, wie viele Tattoostudios es in ihrem Zuständigkeitsbereich überhaupt gibt. Ebenso hat es in den vergangenen Jahren nur wenige Kontrollen gegeben, wie MDR exactly erfährt. In Dresden waren es etwa drei pro Jahr, schreibt die Stadt. Seit das Verbot gilt, wurde auch nicht häufiger kontrolliert, erklären viele Kommunen gegenüber MDR exactly. Die Stadt Jena erklärt dazu: "Die notwendigen Unterweisungen zu diesem Thema von der überlagerten Behörde, nämlich dem Thüringer Ministerium für Migration, Justiz und Verbraucherschutz, sind noch nicht erfolgt. Deshalb fehlen die Grundlagen für Kontrollen zum EU-Tattoo-Farben-Verbot." Zudem ist offenbar auch unklar, welche Strafen drohen, wenn jemand erwischt werden sollte.

Was will die EU also mit dem Verbot erreichen? Bei der Verwendung der Stoffe kann es schwerwiegende Folgen geben, muss es aber nicht, sagt Tiemo Wölken. Er sitzt für die SPD im EU-Parlament und dort im Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit. Deshalb hätten die Experten der EU gesagt, diese Stoffe sollten verboten werden. Es sei also lieber auf Nummer sichergegangen worden.

Der Hintergrund: "Innerhalb der Europäischen Union gilt das sogenannte Vorsorgeprinzip", erklärt Tiemo Wölken. Das bedeute, ein eingesetzter Stoff müsse nachgewiesenermaßen ungefährlich sein. "Es reicht nicht, dass man sagt, wird schon gutgehen." Bislang gibt es nur wenig Forschung zum Phänomen Tattoo. Einer der wenigen, der sich damit wissenschaftlich beschäftigt, ist Wolfang Bäumler von der Universität Regensburg. Er forscht seit 20 Jahren in diesem Bereich und sagt: "Was man weiß, sind die negativen Effekte an der Haut. Es kommt zu Infektionen, es kommt zu allergischen Reaktionen beziehungsweise Fremdkörper-Reaktionen." Wenn auch nicht so häufig. Doch die Farben würden auch in den Körper gelangen. Ein großer Teil wandere in andere Organe und verbliebe dort über Jahrzehnte. "Dazu gibt es eben leider Gottes derzeit keine wissenschaftlichen Fakten. Es bleibt also auch im Jahr 2022 unklar, ob langfristig durch eine Tätowierung im Körper ein Problem verursacht worden ist."

Das liege aus Sicht von Wolfgang Bäumler auch daran, dass Tattoos lange als Randphänomen galten. Doch inzwischen ist "Tätowieren in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Wir haben hier in Deutschland etwa 16 Millionen Menschen mit Tätowierungen." Auch deshalb wollte die EU bereits Anfang der 2000er Jahre die Branche besser regulieren, sagt Bäumler. "Man hätte zehn, 15 Jahre Zeit gehabt, um diese jetzige Regulierung auf eine ordentliche Basis zu stellen. Das wäre sicher sinnvoll gewesen und was auch die Akzeptanz erhöht hätte gegenüber dieser Regulierung."

Nun drohe womöglich ein Schwarzmarkt, weil Tätowierende heimlich die alten Farben weiterverwenden. Außerdem könne es passieren, dass sich "viele Tätowierungen von Tätowierern machen lassen im Privatbereich oder im europäischen Ausland", sagt Bäumler. Das seien alles Dinge, die weder die EU, noch die Wissenschaftler oder auch die Tätowierer wollten. "Es wäre tatsächlich sinnvoller gewesen, in diesem speziellen Fall, mit den Leuten noch intensiver zu reden, das Gespräch zu suchen, um gemeinschaftlich Lösungen zu finden."

Tattoos nur noch in schwarz-weiß? Für Tattoofarben gelten seit Dienstag in der gesamten Europäischen Union strengere Vorschriften. Was die für die Branche bedeuten, haben wir bei Tätowiererin "Trine" in Jena erfragt.

Eine neue Verordnung verbietet einige Stoffe in Tattoofarben, das sorgt für Kritik. Ein in Halle und Dresden ansässiger Studiobetreiber bleibt aber positiv.

Manchen kann es bei ihren Tattoos nicht bunt genug sein. Laut einer neuen EU-Verordnung sind rund zwei Drittel der Farben ab Januar 2022 jedoch verboten. Wie geht es nun weiter? Das sagen Experten und Expertinnen.

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Ein EU-Beschluss verbietet ab dem 4. Januar 2022 Chemikalien, die in fast allen Tattoo-Farben enthalten sind. Nachzulesen in der sogenannten REACH-Verordnung. Farben ohne diese Substanzen gibt es bisher nicht.

Dieses Thema im Programm: MDR+ | MDR exactly | 21. Februar 2022 | 10:00 Uhr

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